An diesem Sonntagvormittag bin ich mit dem namenlosen Hauptdarsteller dieses Buch in seine Kindheit, in verrückte fremde Welten, an die Klippen der Angst und wieder zurück gereist. Neil Gaimans neuestes Buch ist mitreißend, versponnen, realistisch und gleichzeitig total phantastisch - und deswegen total empfehlenswert.
Die Geschichte beginnt mit dem Erzähler, der als Erwachsener wegen einer Beerdigung nach langen Jahren in den Ort zurückkommt, an dem er seine Kindheit verbracht hat. Wie unbewusst steuert er auf den Hof zu, auf dem seine Kindheitsfreundin Lettie wohnte. An dem Teich nahe des Farmhauses (dem titelgebenden Ozean am Ende der Straße) erinnert er sich langsam wieder an die Abenteuer seiner Kindheit, und Neil Gaiman beginnt mit seiner Zaubershow. Während der kompletten Geschichte bietet er Situationen, in denen man sich sicher ist, man befinde sich in einer Fantasygeschichte, nur um kurz darauf Szenen zu beschreiben, die ganz klar auf das Genre Familienroman deuten. Das Buch ist eindeutig auf beide Arten lesbar, aber genauso glaubhaft, wenn man sich einfach nur vom Autor an die Hand nehmen und die Welt in seiner Geschichte zeigen lässt.
Sind Lettie und ihre Mutter und Großmutter wirklich Wesen aus einer anderen Welt, die magische Kräfte haben oder haben die Kinder beim Spielen einfach nur viel Fantasie? Hat der Rasen im Garten einfach nur eine merkwürdige Maserung oder befindet sich dort wirklich ein Feenring, in dessen Mitte man vor den dunklen Schatten geschützt ist? Ich war während des Lesens hin- und hergerissen, was ich selbst nun glaube. Und als ich mich dann durch das Buch hindurchgefressen hatte, da musste ich erstmal noch ein bisschen über alles nachdenken, was ich gerade gelesen hatte. Denn obwohl man die Geschichte gut und flüssig lesen kann, bedeutet das nicht, dass sie seicht ist oder dass Gaiman eine eindeutige Aufklärung liefert. Für Jugendliche ist der "Ozean" auch geeignet, weil es sich gut lesen lässt, aber das bedeutet nicht, dass erwachsene Leser nicht allerhand in dem Buch finden können. Vor allem viele Situationen, über die man noch lange nachdenken kann. Dazu kommt die plastische und bunte Schilderung Gaimans der "anderen" Welt. Die vielen tollen Details würden auch schon für einen Fantasyroman reichen, Neil Gaiman hat sogar noch ein bisschen mehr dazugepackt.
Neil Gaiman - The Ocean at the End of the Lane
William Morrow, 192 Seiten
ISBN: 978-0062272348
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